Ich bin nicht immun

Am Wochenende hatte ich einen emotionalen Zusammenbruch.
Ja, ich gebe es zu: Ich hab den halben Samstag lang geheult, und bin den Rest des Wochenendes mit schlechter Laune durch die Gegend getrottet.
Das lag nicht nur an der viertägigen Migräneaura und meiner Erkältung.

Nein, es lag an einem Minderwertigkeitskomplex, der mich seit meinen Teenagerjahren begleitet: ich finde mich mittelmäßig.
Puh, als vorbildliche Erwachsene, die auch noch Pastorin ist, wage ich es kaum, das zuzugeben. Schließlich bin ich in der Tiefe meines Herzens davon überzeugt, dass Gott mich (und übrigens jeden Menschen dieser Welt) wunderbar gemacht hat. Psalm 139 ist nicht ohne Grund mein Lieblingspsalm.
Aber: mein Verstand kommt mit dieser Herzenshaltung nicht immer mit.
Denn ich bin nicht immun gegen Vergleiche.
Was meine vermeintliche "Schönheit" betrifft habe ich mich ja im letzten Jahr im Zuge der Haarspende schon geoutet. An den meisten Tagen kann ich ganz gut damit leben, dass mein Äußeres ist, wie es ist. Schließlich liebt mein Mann mich so, wie ich bin, und das allein zählt.
Aber da sind noch andere Punkte, die zum Vergleichen verlocken.
Es ist mir wichtig, mich darauf nicht einzulassen. Komischerweise vergleicht man sich meist mit den Menschen, die es besser haben, oder die vermeintlich besser sind. Reicher, schöner, klüger, begabter. Im Normalfall bin ich einfach super glücklich und dankbar für mein Leben und die Familie, die ich so liebe. Gott hat uns so gesegnet mit tollen Kindern, einem Beruf, der uns ausfüllt, Freunden, einer glücklichen Ehe, einer gemütlichen Wohnung und vor allem mit dem Wissen, dass er uns so sehr liebt. Punkt, denn das genügt! Vollkommen!
Leider kommt in all der Dankbarkeit trotzdem ab und zu ein Kratzkäfer angeschlichen, der in schwachen Momenten beginnt, an meinem Herzen zu nagen.
Wie kann es sein, dass wir sechs Kinder haben, und KEIN EINZIGES hochbegabt ist? Gefühlt jeder zweite Freund in meinem Umfeld hat ein hochbegabtes Kind. Es ist schon echt auffällig.
Gut, haben wir dann vielleicht wenigstens ein Kind, das herausragend sportlich oder musikalisch ist?
Fehlanzeige. Wenigstens ein Künstlerkind, das mit vier Jahren schon die Monalisa detail genau kopiert? Auch nicht...
Als Teenager habe ich darunter gelitten, dass ich selbst zwar eine Menge ganz gut konnte: schauspielern, singen, zeichnen, Geschichten schreiben... aber nichts war so gut, dass es nicht von einem anderen überboten worden wäre.
Ein Mädchen aus meinem Kinderchor hatte eine Hammerstimme, so dass ich nur Solo singen durfte, wenn sie - leider, leider - nicht da war. Im Kunstunterricht gab es dieses Kind, das einfach immer so tolle Bilder malte, dass ich nicht mithalten konnte. Das Geschichtenschreiben fiel nur meiner Englischlehrerin auf, die einmal ganz begeistert von meiner Hausaufgabe, einem Text über ein Nilpferd, war.
In der Familie war meine Schwester die, die zuerst einen Freund hatte, danach folgte mein fünf Jahre jüngerer Bruder. Dem gefiel es gut, sich mit 13 darüber zu amüsieren, dass er schon Zungenküsse mit einem Mädchen getauscht hatte, während seine 18-jährige Schwester noch ein trübes Singledasein lebte.
Ach, diese Vergleiche. Unglaublich, wie ich mich darauf eingelassen habe.
Dass sie in dem Moment, in dem ein kleines Baby das Licht der Welt erblickt, zurückkehren, hätte ich nicht erwartet.
Es fängt damit an, dass andere Kinder früher sprechen, laufen, trocken sind.
Dass andere Kinder Klavier spielen und Ballett tanzen, während das eigene lieber mit Autos über den Wohnzimmerfußboden robbt.
Es geht weiter, wenn die Kinder tolle Zensuren schreiben (oder eben nicht), Klassen wiederholen statt sie zu überspringen, und zur Logopädie müssen, statt den Vorlesewettbewerb auf Bundesebene zu gewinnen.
Aber wisst ihr was?
Am Montag war der Spuk vorbei.
Meine Migräne hatte sich endlich entfaltet und dem Hirn wieder die Gelegenheit gegeben, auf gewohnte Ressourcen zurückzugreifen.
Auf die Ressource namens "Dankbarkeit". Ich kann nicht behaupten, immun gegen Vergleiche und Minderwertigkeitskomplexe zu sein.
Aber ich habe in meinem Herzen eine riesengroße Dankbarkeit für die kleinen, großen Dinge des Lebens, die einfach absolut gar nichts mit Leistung zu tun haben. Das Einzige, was wirklich zählt, ist, zu lieben und geliebt zu sein. Und das, ja, das fühle ich ganz deutlich. Gott liebt mich und meine unspektakuläre, wunderbare Familie so unendlich sehr, dass mein Herz davon überfließt.
Und dich? Liebt er genauso. Punkt, denn das genügt! Vollkommen!



Hüpfen macht auch glücklich! :)

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