Selbstbestimmt und frei, Baby!

Im Mai 2004 hielt ich einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen: neun Monate nach der Geburt unseres ersten Kindes.

Kurze Zeit später saß ich im Sprechzimmer meines Gynäkologen und informierte ihn über diese Tatsache. Seine Reaktion: "Schon wieder? Wollen Sie es denn behalten?"

Ich bin heute noch schockiert darüber, wie unwillig der Arzt die Folgeschwangerschaft zur Kenntnis nahm. Es lagen keinerlei körperlichen, finanziellen oder partnerschaftlichen Probleme vor, die gegen eine zweite Schwangerschaft bei mir - damals 24 Jahre jung - sprachen. 

Noch vor der Untersuchung vermittelte er mir durch diese Frage: es gibt die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs (und: "Sie sollten mal darüber nachdenken."). Ich empfand das als eine emotionale Ohrfeige. Gleichzeitig wunderte ich mich, da ich bisher immer gehört hatte, dass Ärzte nicht für einen Schwangerschaftsabbruch werben dürfen.

Natürlich war die Frage noch keine explizite Werbung, aber mir war klar: wenn ich das Kind nicht behalten möchte, dann wird mir dieser Arzt helfen. Damals hätte der nächste Schritt direkt in eine Beratungsstelle geführt. 

Ich weiß nicht, ob mein damaliger Gynäkologe Abbrüche in seiner Praxis vorgenommen hat. Er hätte mich wohl über die Möglichkeiten informieren können. Dann wäre ein Beratungsschein aus einer qualifizierten Beratungsstelle notwendig gewesen, und anschließend hätte ich herausfinden müssen, welcher Arzt den Abbrüche vornimmt: mein Gynäkologe hätte es aber nicht sein dürfen, da der beratende Arzt nicht auch der durchführende sein darf.

Mit diesem umfangreichen Prozedere sollen verschiedene Dinge erreicht werden. u.A.:

Die Frau muss mehrere Personen konsultieren, bevor sie den Eingriff vornehmen lässt: dies stellt eine "Hemmschwelle" dar und stellt sicher, dass die Entscheidung gut durchdacht wird. Der Eingriff, mit dem die Ärzte natürlich auch Geld verdienen, kann zudem nicht vom durchführenden Arzt selber als Dienstleistung beworben und der Frau "verkauft" werden.

Von vielen Frauen wird dies als Eingriff in ihre Freiheit und Selbstbestimmung wahrgenommen. Schließlich ist frau bei keinem anderen Arztbesuch verpflichtet, mehrere Meinungen einzuholen, bevor sie einen Eingriff ihrer Wahl am eigenen Körper vornehmen lässt. 

Ein Arzt wiederum darf generell mit seinen Kompetenzen und Leistungsangeboten werben. Er darf seinen Patienten und Patientinnen zu einer in seinen Augen sinnvollen Operation raten, diese dann selbst durchführen und selbstverständlich auch damit Geld verdienen. Das ist schließlich sein Beruf.

Wäre die Schwangerschaft eine Krankheit, dann würden §218 und §219a StGB tatsächlich keinerlei Sinn ergeben. Natürlich sollte dann jeder Gynäkologe zum Schwangerschaftskonflikt beraten dürfen, detaillierte Informationen zur Durchführung des Eingriffs geben und diesen auch selbst vornehmen können. Ganz ohne "Erlaubnis" einer externen Stelle, die dazu einen Beratungsschein ausstellt.

Ist eine Schwangerschaft eine Krankheit? Ein Baby ein schnell wachsender Tumor, der entfernt werden sollte, bevor die gesundheitlichen Konsequenzen zu groß sind?

In manchen Fällen könnte man es sicher so sehen. Argumentiert wird mit Schwangerschaften, die die körperliche Gesundheit der Frau tatsächlich gefährden und solchen, die unter kriminalistischen Aspekten entstanden. Zudem muss die psychische Komponente in Betracht gezogen werden, da eine Schwangerschaft durchaus zu schwerwiegenden psychischen Beschwerden führen kann.

Definitiv handelt es sich bei einer Schwangerschaft um eine Veränderung des Körpergewebes der Mutter - aber auch dem des Vaters, dessen Spermium der Erreger der Veränderung ist. Diese Veränderung zieht jedoch im Normalfall keine dauerhafte körperliche Schädigung oder gar den Tod nach sich, sondern ein neues, eigenständiges Leben.

Das macht die Sache extrem kompliziert. Es wirft die Frage auf: wessen Leben und körperliche Unversehrtheit zählen mehr? 

Ja, eine Schwangerschaft schädigt den Körper der Mutter. Sie verursacht Übelkeit, Schmerzen, körperliche Einschränkungen, eine psychische Belastung: wie eine "echte" Krankheit. Frau muss sie neun Monate lang ertragen, obwohl der "Krankheitserreger" sich jederzeit relativ leicht entfernen ließe.

Doch genau hier liegt das Problem. Der Erreger ist ein Mensch - genau wie die Frau, die ihn in sich trägt. Zusätzlich stammt er zu 50% von ihr selbst - zu 50% ist jedoch auch eine weitere Person beteiligt, die streng genommen Eigentumsrechte an dem entstehenden Wesen hat.

Wem gehört also die "Krankheit"? Der Mutter? Dem Vater? Oder gar sich selbst, dem Kind?

Die Antwort auf diese Frage entscheidet darüber, wem das Recht zusteht, über die Beendigung der Schwangerschaft zu entscheiden.

Selbstverständlich ist es das Anliegen und die Pflicht jeden Arztes, körperliche und psychische Leiden zu lindern. Eine Schwangerschaft kann eine Menge derselben bei der Mutter verursachen. Deshalb ist es sicherlich wichtig, dass es gesetzlich verankerte Möglichkeiten gibt, in schweren Fällen der gesundheitlichen Beeinträchtigung einer Schwangeren Hilfe zu leisten, indem die Schwangerschaft beendet wird.

Dennoch bleibt die Ursache all dieser möglichen Leiden ein lebendiges Wesen, das - meiner Meinung nach - die gleichen Rechte haben muss wie ein menschliches Wesen, das es bereits aus dem mütterlichen Körper heraus geschafft hat. Wie kann es sein, dass der Mord an einem neugeborenen Baby einen moralischen Aufschrei verursacht - eine medizinische Handlung mit dem gleichen Ergebnis sieben Monate vorher jedoch als sinnvoll erachtet wird? 

Es ist ein unglaublich komplexes Thema mit unzähligen individuellen Facetten.

Sicherlich, kaum eine Frau macht sich die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch leicht - davon möchte ich zumindest ausgehen.

Aber es gibt noch eine Seite der Medaille, und die ist gerade politisch aktuell.

Je einfacher es wird, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, desto schwieriger wird die Entscheidung dafür, eine Schwangerschaft auszutragen. 

Wie viele Schwangerschaften werden beendet, weil die Frauen von Partnern oder Familie unter Druck gesetzt werden? Weil sie vermittelt bekommen, es sei der leichtere Weg, es später nochmal zu versuchen, wenn die Umstände besser passen? Weil die Frauen selbst wissen, dass ein Kind zum "falschen" Zeitpunkt ihre Karriere gefährdet? Weil sie Angst haben, das Kind nicht ausreichend lieben zu können oder dauerhaft Probleme mit dem Erzeuger zu haben? 

Das sind absolut nachvollziehbare Gründe und existentielle Ängste, die nicht vom Tisch gewischt werden dürfen. Trotzdem:

Keiner weiß, wie sich die Beziehung einer Mutter zu ihrem Kind entwickeln wird. 

Wäre es nicht mindestens ebenso wichtig, die Hilfsangebote für Frauen im Schwangerschaftskonflikt und die gesellschaftliche Unterstützung junger Eltern zu verbessern, so dass die Entscheidung FÜR ein Kind leichter fällt?

Mir fallen tausend Möglichkeiten ein, Menschen im Schwangerschaftskonflikt zu unterstützen. Im Bild gesprochen: die Folgen der Erkrankung erträglich zu machen. Der Patientin zu helfen, mit den akuten Symptomen und den Langzeitfolgen nicht nur klar zu kommen, sondern sogar einen positiven Einfluss auf deren Lebensqualität daraus zu entwickeln.

Dem Baby das Recht auf ein weitgehend freies, selbst bestimmtes Leben zu ermöglichen.


Die Frage, die mich bewegt, lautet: Wie wird die Abschaffung des §219a StGB sich auf die Mütter auswirken, die ihrem Arzt, unsicher und aufgeregt wie mein 24-jähriges Ich 2004, mitteilen: 

"Ich habe einen positiven Schwangerschaftstest..."








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