Bin ich schön?

Muss Spenden eigentlich weh tun? Blutspenden piekt ein bisschen, Geld spenden schmerzt, je nach Betrag, etwas mehr. Beides ist für mich trotzdem selbstverständlich. Bei dieser speziellen Spende, die heute für mich anstand, ging es aber um mehr: es ging um mein Selbstbewusstsein. Oder, anders gesagt, um meine Schönheit.
Es ist peinlich, das zuzugeben, aber seit meiner Teeniezeit macht mir das Thema Schönheit zu schaffen. Meine Figur lässt sich am ehesten mit dem Modell “Besenstil” vergleichen - nach sechs Schwangerschaften zeitweise auch “Klapperschlange mit verschlucker Antilope”. Als Jugendliche hörte ich von meiner Oma den Satz “Eine lange Dürre wird kommen”, von Klassenkameraden die Bezeichnung “BMW” (Brett mit Warzen). Dass ich kaum weibliche Rundungen aufweisen konnte wurde mir in meiner Familie immer gern scherzhaft vor Augen gehalten: meine Schwester hatte in dieser Beziehung schließlich deutlich die Nase vorn. Im Schulunterricht lernten wir dann auch, was ein schönes Gesicht ausmacht. Das Stichwort heißt “Kindchenschema”. Die Merkmale: große Augen, kleines Näschen. Super, genau das Gegenteil von mir!
Gibt es also etwas, das mich weiblich und schön macht?
Da wäre noch der Faktor Haare. Den kann ich immerhin selbst beeinflussen. Als ich ungefähr vierzehn Jahre alt war trug ich einen Kurzhaarschnitt, den ich ganz chic fand. Bis zu diesem Restaurantbesuch im Urlaub, bei dem die Kellnerin mich für meines Bruders großen Bruder hielt. Also wurden die Haare wieder länger.
Als ich mit zwanzig meinen Mann kennenlernte sah ich aus wie Yoko Ono, und das blieb auch so, bis zu einem Haarschneideunfall kurz vor unserer Hochzeit. Danach schwankte die Frisur über die Jahre zwischen lang und halblang.
Bis heute.
Heute habe ich ein Vorhaben in die Tat umgesetzt, das ich schon lange hatte. Meine Haare wurden radikal abgeschnitten, um als Haarspende für eine Kinderperücke zu dienen. Es war merkwürdig und irgendwie beschämend, wie schwer mir der Gedanke, mich von meinem seit 2012 wirklich langem Haar zu trennen, fiel.
Mein Mann liebt langes Haar und hat mir das immer wieder gern gesagt. Aber er liebt mich sowieso so, wie ich bin. Trotzdem: findet er mich auch mit einem Kurzhaarschnitt noch wirklich schön? Und wenn ich mir seiner Liebe - egal, wie ich aussehe - sicher bin: kann es mir dann nicht ganz egal sein, was Andere denken? Sollte mir das, als verheirateter Frau, nicht einfach egal sein?
Und zählen nicht sowieso die “inneren Werte” viel mehr?
Die Haarspende hat mir klar gemacht, dass ich mehr als mir lieb ist auf meine Außenwirkung bedacht bin. Gleichzeitig hat mich das aber nicht von der Spende abgehalten. Im Gegenteil: es hat mich sogar darin bestärkt, es zu tun. Weil ich überzeugt bin, dass Schönheit etwas anderes sein muss als eine gute Figur und schmeichelndes Haar - auch wenn ich leider wirklich gern etwas mehr Model fähig wäre. Ich glaube, dass es nicht meine “Bestimmung” ist, Menschen mit äußerlicher Schönheit zu beeindrucken (und ja, diese Erkenntnis tut trotzdem weh). Ich wünsche mir stattdessen, dass eine andere Art der Schönheit durch mein Wesen strahlt. Die Schönheit der Liebe Gottes, in dessen Augen jeder von uns wunderschön ist.

Kommentare

  1. Ein sehr starker Beitrag!
    Vielen Dank für diese ehrlichen Einblicke ...

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  2. Ach Annie, wer dünne ist will Kurven und wer moppelig ist, wäre vielleicht gerne schlank. Ich habe inzwischen beides ausprobiert und stelle fest: äußere Schönheit ist eine Frage der subjektiven Wahrnehmung und viele Menschen stellen sich der Frage erst gar nicht (z.B. ziemlich viele Männer!)

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