Türchen Nummer 3

Oh, Tannenbaum, oh Tannenbaum...
Du bist jedes Jahr eine Herausforderung. Bevor ich meinen eigenen Haushalt hatte war alles ganz einfach. Meine Eltern besorgten einen Baum, meine Mutter schmückte ihn, und fertig. Wundervoll. Das einzige Problem, an das ich mich aus diesen längst vergangenen Zeiten erinnern kann ist mein Kater Robert - liebevoll Bobbi genannt - der der Ansicht war, dass silberne Glaskugeln zum Spielen, und elektrische Lichterketten zum Durchbeißen gedacht sind.
Die wahren Schwierigkeiten begannen, als mein Mann und ich eine eigene Wohnung bezogen. Diese kleine Dachgeschosswohnung in einem Leipziger Altbau war einfach prädestiniert für ein himmlisches Bäumchen - gegen das mein frisch Angetrauter sein Veto einlegte. Kein Baum. Weihnachtsbäume sind heidnisch und machen nur Arbeit.
In den ersten beiden Jahren unserer Ehe nahm ich also mit dem Tannenbaum im Gemeindesaal Vorlieb, zumal wir Weihnachten sowieso bei unseren Familien feierten.
Aber im dritten Jahr unserer Ehe - wir hatten mittlerweile zwei Kinder und lebten in einer größeren Wohnung - da konnte ich ihn überreden, meinen Mann.
Der Baum war toll. Glaube ich jedenfalls, denn, ehrlich gesagt, kann ich mich nur an seine kümmerlichen Überreste erinnern. Das liegt daran, dass wir den Baum nach Weihnachten zersägten, die Nadeln zusammenfegten und alles zusammen in einer blauen Mülltüte auf dem Balkon zwischenlagerten.
Dort stand die Tüte in etwa bis Mitte August. Am darauf folgenden Weihnachtsfest fuhren wir wieder zu unseren Familien. Die blaue Mülltüte war des Argumentes genug.
Aber, oh Tannenbaum... auf dieses Fest folgte ein weiteres. Mittlerweile zehn Weitere. In all diesen Jahren zierten Tannenbäume unsere Feste. Denn die Kinder wuchsen, die Familie wuchs, und die Entfernung unseres Wohnortes zu dem der Großeltern wuchs ebenfalls.
Das Weihnachtsbudget wuchs allerdings nicht, und deshalb schmücken unser Fest meist sehr kreative Tannenbäumchen.
Solche, die aus großen Abfallästen von mir gebunden wurden. Ganz billige zuweilen, die mehr Stamm als Nadeln trugen. Oder ein Tannenbaumersatz in Form eines Buchsbäumchens im Topf, das leider die Zeit bis zur geplanten Auswilderung nicht überstand.
Aber im letzten Jahr, da hatten wir ein tolles Exemplar.
Eins mit einem herrlichen grünen Kleid, das uns eine Menge über Hoffnung und Beständigkeit lehren wollte.
Es war ein wirklich schöner Tannenbaum, den ich mit Hilfe meiner Mutter in dem von lieben Nachbarn geliehenen Christbaumständer in unserem Wohnzimmer aufrichtete. Mit Hingabe wurde er von den Kindern geschmückt - bunte Kugeln aus zartem Glas, Lichter, Glöckchen und Schokozapfen. Eine Augenweide. Ein Gedicht.
Eine Katastrophe.
Nach getaner Pflicht am Heiligabend nämlich machte unser Baum schlapp.
Von wegen Beständigkeit. Des Morgens weckte ich meine Mutter, die im festlichen Wohnzimmer auf dem Sofa übernachtet hatte. Sie war blass um die Nase und bat mich, mich zu setzen bevor ich das Licht anmachte.
Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Was war passiert? Hatte sie eine schlimme Nachricht bekommen? Ging es jemandem aus unserer Familie schlecht? Hatte jemand einen Unfall gehabt?
Nein, nein. Allen ginge es gut, auch ihr selbst. Nur einem nicht: dem Tannenbaum.
Ich knipste das Licht an und sah sie, die Bescherung: Sie lag begraben unter einem Wald von Nadeln und Sand. Mitten in der Nacht habe sie ein Rauschen gehört, berichtete meine Mutter. Und bevor sie herausfinden konnte, woher es kam, sei er schon gefallen. Der ganze Baum mit all seinen schönen Kugeln.
Ich glaube, meine Mutter erwartete Verzweiflung und Entsetzen von mir, aber ich konnte nur lachen.
Wie gut, dass der Baum nicht auf meine Mutter gefallen war. Alles andere war kein Problem. Wir richteten den Baum mit vereinten Kräften wieder auf, fegten Sand und Scherben zusammen und banden die Tanne an der Balkontür fest. So schön ich funkelnde Weihnachtsbäume auch finde, sie sind doch nicht die Hauptsache am Fest. Die ist und bleibt für mich, dass Gott für uns zur Welt kam, um uns zu begegnen.
Eigentlich nett von unserem Tannenbaum, uns mit seinem Abgang daran zu erinnern.
Oh Tannenbaum, du bist wirklich für Überraschungen gut. Aber für dieses Jahr haben wir uns eine Alternative überlegt - eine standfeste.

O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter!
Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, nein, auch im Winter, wenn es schneit.
O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter.

O Tannenbaum, o Tannenbaum, du kannst mir sehr gefallen.
Wie oft hat doch zur Weihnachtszeit ein Baum von dir mich hoch erfreut.
O Tannenbaum, o Tannenbaum, du kannst mir sehr gefallen.

O Tannenbaum, o Tannenbaum, dein Kleid will mich was lehren:
Die Hoffnung und Beständigkeit gibt Trost und Kraft zu jeder Zeit.
O Tannenbaum, o Tannenbaum, dein Kleid will mich was lehren.

 

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