Ein Jahr danach

Am 19. Dezember 2016 war ich mit ein paar meiner Kinder auf dem Weihnachtsmarkt.
Ich postete ein Foto von uns auf Facebook und bekam kurze Zeit später besorgte Anfragen: "Anni, wo seid ihr? Geht es euch gut? Ihr seid hoffentlich nicht am Breitscheidplatz?"
Das war der Moment, in dem ich von dem Attentat erfuhr, bei dem zwölf Menschen ahnungslose Besucher des Weihnachtsmarktes ihr Leben verloren.
Matthias und ich trommelten Helfer zusammen. Wir machten heiße Getränke fertig und stiegen in den Einsatzwagen der Heilsarmee um an den Ort des Anschlags zu fahren. Seelsorge und ein bisschen äußere Wärme wollten wir denen anbieten, die an diesem eiskalten Abend von dem unvermittelten Angriff erschüttert wurden. Während wir auf unseren Babysitter warteten schrieb ich in mein Tagebuch: "Wir haben euch lieb, Kinder. Egal, was passiert."
Würde es noch Folgeattentate geben? Der Täter war flüchtig. Würden er oder eventuelle Mittäter versuchen, noch weitere Menschen zu schädigen?
Es war bedrückend, durch die immer leerer werdenden Straßen zu fahren. Irgendwann passierten wir eine von Polizisten mit Maschinengewehr bewachte Menschenmenge, dann leergefegte Straßen, auf denen überall Blaulicht blinkte.
Dazwischen Weihnachtsglanz. Die Straßen geschmückt mit Lichterketten.
Auf dem Breitscheidplatz der große Baum und bunte Buden.
Wir kamen in die abgesperrte Zone, mussten warten, wurden weitergeleitet, mussten wieder warten.
Weil die Betroffenen selbst bereits von anderen Organisationen versorgt wurden, teilten wir ein paar Becher Tee an Pressevertreter aus, die Kabel und Kameras durch die kalte Nacht trugen. Dann fuhren wir weiter, kamen mit ein paar Menschen vor Ort ins Gespräch, versorgten noch einen Obdachlosen in einer Nebenstraße und kehrten heim. In dieser Nacht wurde unsere Hilfe nicht weiter gebraucht.
Zumindest nicht die praktische Hilfe. Denn in der Wartezeit beteten wir sozusagen "ohne Unterlass". Eine Gebetsgruppe hatte sich zusammengefunden, wir tauschten uns über WhatsApp aus und bestürmten Gott, den Opfern, die verletzt waren, zu helfen. Den Angehörigen der Toten beizustehen. Die Rettungskräfte und Notfallseelsorger zu stärken. Den Täter aufzuhalten.
Am nächsten Tag fuhr der Einsatzwagen wieder hinaus, und diesmal gab es viele Gespräche. Es flossen Tränen, die Grausamkeit des Anschlags ließ die Menschen fassungslos.

Ein Jahr später feiern wir wieder Weihnachten, genauso selbstverständlich wie 2016.
Nichts hat sich geändert. Weder in der Welt, die immer noch täglich von Krieg und Terror zu berichten hat, noch auf den Weihnachtsmärkten mit ihren Glühweinbuden und Lebkuchenherzen.
Durch die Straßen laufen Menschen mit froher Erwartung und Menschen mit schwerem Herzen.
So war es 2016, so ist es 2017. Vielleicht wird es auch 2018 so sein.
Und so war es auch zu dieser Zeit in Israel - um welches Jahr und welchen Monat genau es sich auch immer gehandelt haben mag - als Maria schwanger nach Bethlehem unterwegs war.
Es war finster in der Welt, und über dem Leben schwebte, immer präsent, der Hauch des Todes.
Wir können uns dem nicht entziehen.

Aber was wir spürten, als wir im Einsatzwagen schweigend durch die abgesperrten Straßen fuhren, die Wolke von Tod und Trauer beinahe greifbar um uns herum, war: Gott ist das Leben. Jesus Christus ist Gott, der als Mensch in das Dunkel eintaucht. Der dem Tod entgegentritt, und der die Macht hat, ihn für immer zu verbannen, wenn es an der Zeit ist.

"In ihm (Jesus) war das Leben, und dieses Leben war das Licht der Menschen. Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht auslöschen können." Johannes 1,4-5, Die Bibel (NL)

Auch das ist Weihnachten. Ich bete, dass Gott die Menschen tröstet, die jetzt das Gefühl haben, in undurchdringlicher Finsternis zu sein. Die von Trauer erdrückt werden.

Sein Licht scheint in die Finsternis, und die Finsternis kann es nicht auslöschen.

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